Dr. Bernhard Felmberg ist Militärbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland und damit oberster Seelsorger für die rund 180.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Bei der Gedenkveranstaltung in Halbe wird er die Andacht halten und das Gebet bei der Einbettung von 100 geborgenen Kriegstoten sprechen. Im Interview spricht er über den Friedhof als Ort der Mahnung, die bleibende Verantwortung der Gesellschaft – und darüber, warum Gräber auch Zeichen der Hoffnung sein können.
1. Herr Bischof, in Halbe werden 100 Kriegstote beigesetzt – gefunden auf brandenburgischem Boden, Jahrzehnte nach Kriegsende. Was bedeutet es aus Ihrer Sicht, dass solche Einbettungen auch heute noch nötig sind?
Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge erfüllt eine bleibend wichtige Aufgabe: Er sucht und birgt Kriegstote, sorgt für ihre würdevolle Bestattung und pflegt ihre Gräber. Dabei leisten viele ehrenamtlich Engagierte – darunter zahlreiche junge Menschen, auch viele Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr – einen unschätzbaren Beitrag. Dafür gebührt ihnen allen unser aufrichtiger Dank. Es ist bewegend zu erleben, wenn Hinterbliebene nach Jahrzehnten der Ungewissheit endlich an einem Ort des Gedenkens, am Grab des Angehörigen trauern können. Es zeigt auch, dass wir als Gesellschaft die Verantwortung tragen, den Toten von Krieg und Verfolgung zu gedenken, ihnen Respekt zu erweisen – unabhängig von der Zeit, die vergangen ist. In einer Zeit, in der die Praxis anonymer Bestattungen immer stärker wird, ist es besonders wichtig, wenn Menschen dafür eintreten, dass Gräber kenntlich bleiben.
2. Was wünschen Sie sich persönlich von einer Veranstaltung wie dieser? Was kann – vielleicht sogar muss – eine Einbettung 80 Jahre nach dem Krieg noch bewirken?
Ich wünsche mir, dass eine solche Zeremonie besonders den Angehörigen Trost spenden kann. Gleichzeitig ist es ein Moment gemeinschaftlicher Erinnerung – getragen von Trauer, aber auch von der Hoffnung, dass uns der Frieden erhalten bleibt. Für unsere Gesellschaft und besonders für die Bundeswehr ist die Beteiligung an solchen Gedenkfeiern ein starkes Zeichen: Sie mahnt uns daran, wie wertvoll und verletzlich Frieden ist, wie wichtig der Einsatz zu dessen Sicherung bleibt, um solche Opfer nie wieder beklagen zu müssen. Wo Menschen Opfer von Gewalt wurden, werden ihre Gräber zu Mahnmalen dafür, dass die Gewalt ein Ende finden muss. Das ist der Horizont, in dem ich die Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge verstehe und mit großem Respekt begleite.
3. Der Volksbund spricht vom „Friedhof als Lernort“. Was kann ein solcher Ort – über religiöse Grenzen hinweg – Menschen heute noch sagen, besonders jungen Generationen?
Ein Friedhof wie dieser spricht besonders zu jenen, die zurückbleiben – Familien, Angehörige. Er lädt gleichzeitig ein zum Nachdenken, zum Innehalten, zum Gebet. Besonders jungen Menschen zeigt er, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist und dessen Bewahrung unser aller Aufgabe ist. Über religiöse und weltanschauliche Grenzen hinweg wird hier zur Versöhnung aufgerufen – und zum Engagement für den Frieden. Ich habe oft darüber nachgedacht, wie traumatisiert mindestens eine ganze Generation im und nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein muss und wie wenig wir Jüngeren von dieser seelischen Not, von den Schlaf- und Beziehungsproblemen der verwitweten Frauen, der Männer in Gefangenschaft oder der Kriegsheimkehrer begriffen haben.
4. Als Militärbischof stehen Sie an der Schnittstelle von Seelsorge, Bundeswehr und Gesellschaft. Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die Einbettung gefallener Soldaten heute – auch als Zeichen an die Lebenden?
Das Wort „Gefallene“ macht mich immer wieder nachdenklich. Welch ein merkwürdiges, beschönigendes Wort! Wer gefallen ist, kann wieder aufstehen. Vielleicht ist es in der dunkelsten Zeit des vergangenen Jahrhunderts nicht möglich gewesen, die Bilder des Krieges in andere Worte zu fassen. Die würdige Grablegung weiterer 100 Kriegstoter, jetzt 80 Jahre nach Kriegsende, ist ein weiteres kraftvolles Zeichen: Wir vergessen die Toten nicht. Wir nehmen Anteil – als Staat, als Gesellschaft, als Familie. Und wir als Kirche begleiten, unterstützen, spenden Trost im Gebet. Für die Angehörigen ist sie ein würdevoller Abschluss, für die Soldatinnen und Soldaten ein ehrendes Gedenken. Und für uns alle ein Appell, das Leben, den Frieden und die Schöpfung zu bewahren. Im Alten Testament heißt es: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ (Jesaja 43). Darauf vertraue ich, dass Gott uns in seiner Treue zugewandt bleibt, auch über die Grenze unseres irdischen Lebens hinaus. Jeder und jedem Einzelnen. So verstehe ich das Wort, „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“, das auch ein Leitwort der Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräber Fürsorge ist.
5. Brandenburg ist ein Land mit vielen Kriegsspuren – aber auch mit einer aktiven Erinnerungskultur. Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Volksbundarbeit hier im Land? Und was ist Ihre ganz persönliche Hoffnung, wenn Sie an Halbe denken?
Ich wünsche mir, dass der Volksbund durch seine wichtige Arbeit weiterhin Räume schafft, in denen Erinnerung zur Mahnung lebendig bleibt. Gerade hier in Brandenburg, wo die Geschichte so viele sichtbare Spuren hinterlassen hat. Erinnerung darf nicht im Gestern verharren – sie soll ins Heute wirken und Wege für morgen weisen. Meine Hoffnung für Halbe ist, dass dieser Ort mehr ist als ein Ort des Schmerzes: ein Ort, der auch von Hoffnung erzählt, von Versöhnung und der Kraft des Friedens. Die Schuld, die Menschen damals auf sich geladen haben, ist sehr konkret. Wir tragen jetzt Verantwortung dafür, dass Menschen in Sicherheit und Frieden leben können. Auch dort, wo gerade in diesen Wochen in Europa Menschen getötet und in ihrer Würde schwer verletzt werden. Dafür beten wir als Christinnen und Christen, und als Militärseelsorge begleiten wir diejenigen, die dafür in ihrem Dienst und mit ihrem Leben einstehen.