1. Herr Dombrowski, als Bundesvorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V. setzen Sie sich tagtäglich für die Erinnerung an die Opfer von politischer Verfolgung und Unterdrückung ein. Welche Bedeutung hat der Volkstrauertag für Sie persönlich und für Ihre Arbeit im Verband?
Der Volkstrauertag ist für unseren Verband, aber auch für mich, immer wieder Anlass daran erinnert zu werden dass das Streben nach Macht und Vorherrschaft immer wieder Millionen von Menschen in den Strudel von Kriegen gerissen hat. Leider scheint es so zu sein, das die Menschheit nicht ohne Krieg auskommt. In unserem Verband haben wir viele hochbetagte Mitglieder die Krieg, Vertreibung und nachfolgendes Unrecht selbst erlebt haben. Daraus ergeben sich für uns Verpflichtungen die über das Gedenken hinausgehen. Wir treten ein gegen Unrecht und für Respekt und Achtung der Menschenwürde.
2. Wenn Sie heute, viele Jahrzehnte nach den Konflikten des 20. Jahrhunderts, an den Gräbern von Gefallenen und Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft stehen – welche Gedanken und Gefühle bewegen Sie? Wie sollten wir als Gesellschaft heute an diese Schicksale erinnern?
Ich wurde 1975 von der Bundesregierung aus politischer DDR-Haft freigekauft. Ich kannte aus der DDR nur das staatlich organisierte Gedenken an die Helden aus der Sowjetunion, die den Hitlerfaschismus beendeten. Wie Bundespräsident von Weizsäcker mutig sagte :“ Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung , aber auch der Beginn neuen Unrechts“. Sehr bald war ich auf einem Soldatenfriedhof in Frankreich. Auch wenn es lange her ist werde ich das Bild und meine Gefühle nie vergessen. Eine grüne Wiese und weiße Kreuze soweit das Auge blickt. Ich bin einige Schritte auf den Rasen gegangen und habe mir die Daten der Toten angesehen. Ich war erschüttert. Junge Männer, die noch soviel gutes hätten schaffen und erleben können. Keine Helden, Opfer waren diese Männer.
3. In Ihrer Arbeit geht es oft um das Gedenken an politische Verfolgung und das Bewahren von Erinnerungen. Wie, glauben Sie, kann der Volkstrauertag in unserer Zeit jungen Menschen den Wert von Frieden und Freiheit vermitteln? Was würden Sie sich für die Zukunft dieses Gedenktages wünschen?
Der Volkstrauertag ist kein Ritual sondern ein Anliegen für jeden Tag. Leider sind die Traditionen und das Gedenken an alle Opfer der beiden Weltkriege und des folgenden Unrechts durch politisch selektive Deutungen in der DDR in Vergessenheit geraten. Erst langsam hat sich das Bewusstsein wieder entwickelt zu erkennen, dass jeder tote Soldat und jeder tote Zivilist ein Opfer war, egal welcher Nationalität er war. Wenn wir - auch als Eltern und Großeltern - junge Menschen befähigen zu verstehen was Respekt, Toleranz und Menschenwürde bedeutet, dann haben wir eine Chance auf eine bessere, friedlichere Welt hoffen zu dürfen.