Meldungen aus dem Landesverband Brandenburg
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42 Gefallene in Lietzen – Erinnerung als Verpflichtung

Achtzig Jahre nach den Kämpfen an der Oder wurden in Lietzen erneut deutsche Soldaten beigesetzt. Der Volksbund erinnert damit an die Opfer des Krieges – und daran, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist.

OTL d. R. Jörg Dodenhoeft erweist die letzte Ehre Ch. Blase/Volksbund

Manchmal sind es die stillen Orte, an denen Geschichte am lautesten spricht. Lietzen ist so ein Ort. Eine unscheinbare Kriegsgräberstätte in Märkisch-Oderland, keine großen Monumente, keine Kameras. Nur die Spuren des Krieges, die sich auch acht Jahrzehnte nach seinem Ende nicht zum Schweigen bringen lassen.

Am 23. September 2025 wurden hier zweiundvierzig deutsche Soldaten beigesetzt – Männer, die in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs ihr Leben verloren. Sie starben in einer Zeit, in der alles längst verloren war, in einem Krieg, der sich selbst schon zerstört hatte. Achtzig Jahre später erhielten sie ihre Namen zurück, ihre Würde und einen Ort, an dem sie bleiben dürfen.

„Noch immer gibt die brandenburgische Scholle jedes Jahr die Überreste von Menschen frei, die einem verbrecherischen Regime zum Opfer fielen. Hier im Oderland waren es nicht nur junge Soldaten, sondern auch viele ältere Männer des Volkssturms als letztes Aufgebot. Auf unseren Friedhöfen wird so die ganze Bandbreite des Schreckens deutlich“, sagte Oliver Breithaupt, Geschäftsführer des Volksbundes in Brandenburg.

Diese Worte markieren den Kern dessen, was Erinnerung heute bedeutet: nicht das Nachsprechen von Geschichte, sondern das Ringen um Wahrheit, Verantwortung und Würde. Denn Lietzen ist kein Ort der Heldengeschichten, sondern ein Ort des Schweigens. In seiner Rede erinnerte Breithaupt an die Worte des Dichters Friedrich Hebbel: „Das Gewissen ist die Wunde, die nie heilt und an der keiner stirbt.“
Diese Zeilen, so Breithaupt, mahnten uns, die Verantwortung gegenüber der Geschichte nicht zu verdrängen, sondern sie anzunehmen – als Aufgabe, die nie abgeschlossen ist. Er sagte: "Möge unsere heutige traurige Pflicht im Zeichen der fünf Kreuze des Volksbundes, uns und alle Menschen, draußen in der Welt, an die urchristlichen, friedvollen Gesten des Verzeihens, des Vergebens und des Hoffens auf Frieden zwischen den Menschen und den Völkern erinnern, denn Zeiten und Umstände ändern sich. Politik verändert sich - und mit ihr die Belastbarkeit des Begriffes ‘Krieg’. Vernunft ohne Glaube endet im Totalitarismus. Glaube ohne Vernunft endet im fundamentalistischen Extremismus. Eine gesunde Vernunft braucht den Glauben, ein gesunder Glaube braucht die Vernunft. Mühen wir uns Lebende, an diesem Ort, an diesen Gräbern - die Toten zu hören, sie anzuhören, sie zu verstehen. Lernen wir aus ihren Schicksalen, Erkennen wir den Wert solcher Grabstätten für uns als Orte der Hoffnung und des Glaubens - auf Freiheit, Recht und Frieden unter den Menschen - zu Hause und in der Welt."

Die Kriegsgräberstätte wurde im Frühjahr 1945 angelegt, von den Kämpfen überrollt, später erhalten und seit 1993 regelmäßig erweitert. Jede Zubettung ist ein Akt der Anerkennung – ein stiller Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Dass diese Arbeit nicht endet, ist Teil der Botschaft: Erinnerung ist keine abgeschlossene Pflicht, sondern eine bleibende Aufgabe.

Oberst i. G. Sascha Zierold, Standortältester der Bundeswehr in Strausberg, erinnerte in seiner Ansprache daran, dass die Gräber auch für die Soldatinnen und Soldaten von heute Mahnung und Maßstab bleiben. Wer hier steht, spürt, dass Freiheit und Frieden keine Selbstverständlichkeit sind. „Der Opfer von Kriegen zu gedenken, heißt, für den Frieden einzutreten“, sagte Zierold – ein Satz, der in Zeiten des Krieges in der Ukraine eine neue, ernste Bedeutung bekommt.

Der katholische Militärseelsorger Max Hantke sprach in seiner bewegenden Predigt über die Hoffnung, die aus Erinnerung wachsen kann. Seine Worte verbanden sich mit der Musik des Landespolizeiorchesters Brandenburg unter der Leitung von Robert Paul – leise, getragen, unaufdringlich. Das Trompetensolo „Ich hatt’ einen Kameraden“ machte aus der Gedenkfeier eine Stunde des Innehaltens.

Über allem lag an diesem Tag die Sonne. Es war einer dieser klaren Septembermorgen, an denen das Oderland fast friedlich wirkt. Doch hinter der Ruhe liegen Spuren, die sich nicht verwischen lassen – Geschichten von Verlust, Angst und Verblendung. Orte wie Lietzen erinnern daran, dass der Frieden, in dem wir leben, nicht selbstverständlich ist.

Wer an diesem Tag neben Landrat Gernot Schmidt dort stand, spürte: Diese Arbeit ist nie nur rückwärtsgewandt. Sie richtet sich auf die Zukunft. Denn wer den Toten ihre Würde zurückgibt, stärkt das Gewissen der Lebenden.